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21. Dezember 2022

Rock am Gring

Motorboot - Ärzte - Liebhaber

Der Schlag traf mich neulich fast auf dem nächtlichen Nachhauseweg. Das Leben hatte gerade einen dieser seltenen und perfekten Momente hingezaubert, für die man sich - von Sehnsucht getrieben - durch den Alltag prügelt und für die man den täglichen Stumpfsinn erträgt. Ordentlich zertanzt glühten die Glieder und die Strassen des Nachhausewegs waren leer. So leer wie die Batterie, die es mithilfe des limbischen Systems hoffentlich noch schaffen würde, die ausgelaugten, sterblichen Reste bis ins warme Heiabettchen zu wuppen. Überlagert vom vertrauten Tinnituston lag die Sensorik bereits sicher in Watte verpackt und ich konnte davon ausgehen, dass keine Reize optischer, akustischer oder olfaktorischer Natur mehr an meine Hirnrinde durchdrangen. Es sind keine Gefahren mehr zu erwarten. So dachte ich.

Plötzlich bellt mich wie aus dem Nichts eine Plakatwand an und will mir nachts um halb drei weissmachen, dass im nächsten Jahr Mötley Crüe und Def Leppard in Thun - Dem grössten Kuhdorf (SVP-Diktatur) der Schweiz schlechthin - konzertieren werden. Alle Systeme waren blitzartig wieder in Alarmbereitschaft. Und um nicht zu kolabieren zapfte der Körper ohne Umschweife auch schon die ersten Fettreserven, die mich sicher durch den Winter hätten bringen sollen an. Hätte mir in diesem Moment ein Arzt Puls und Blutdruck gemessen, müsste in ihm unweigerlich der Wunsch entstanden sein, diese medizinische Sensation in einem Fachorgan der Ärzteschaft als Bericht zu veröffentlichen.

Waren Leppard und Crüe nicht längst bereits tot, oder falls noch am Leben nicht ebenso medizinische Sensationen? So oder ähnlich formte sich mein erster gerade Gedanke nach dem Schreckmoment. Arg angenagt schaffte ich die verbleibenden Meter nach Hause und blieb dort die nächsten Tage. Siech und in Decken gehült und stellte mich tot.

Def Leppard - mein Gott! Berühmt geworden, weil der Drummer keine Arme oder keine Beine hatte. "Wie soll das denn gehen?" Frugen wir uns damals. Aus Sensationsgeilheit konnte man sich damals vor vierzig Jahren, ein Konzert von Def Leppard nicht entgehen lassen und so pilgerten wir alle zum Konzert nach Zürich ins Hallenstadion.

Aber heute? Wenn man ehrlich ist, findet man Paralympischen Spiele auch nur deshalb gut, weil man ein Gutmensch sein will. Def Leppard reihte sich, betrachten wir es mit einem gerüttelt Mass Nüchternheit ein in die tausendjährige Tradition der Freakshows. Die Zurschaustellung des Abnormalen. "Kommt herein und ergötzt Euch am Anblick einer tauben Raubkatze ohne Beine."
Mit dem Ausklang vom alten Jahrtausend ging ich davon aus, solcherlei entwürdigendes überwunden gehabt zu haben.

Einzig die Veranstaltungsreihe "Miss Handicap", welche danach noch ein paar Mal auf die Bühne und vor die Kameras des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gezerrt wurde, liess mich an dieser Überzeugung zweifeln.
Antreten durften nur unverheiratete Frauen, die eine körperliche oder psychische oder geistige Einschränkung (früher eben bekannt als ein "Handicap" und noch früher als eine "Behinderung") vorzuweisen hatten. Möglichst eine, die sie in der Ausübung ihres Alltags einschränkte und wichtig (hier kommt der Freakshowcharakter der Bedingung) es dem oder der Zuschauerin kalt den Rücken herunterlief bei dem Gedanken, selber so leben zu müssen.
In der finalen Runde, aus welcher die Siegerin per fachkundiger Beurteilung einer mehr oder weniger fachkundigen Jury hervorging, befanden sich bei der letzten mir bekannten Austragung der Miss Handicapwahl, drei Kandidatinnen. Nummer eins war eine zerebral gelähmte vierundzwanzigjährige, welche sich mithilfe einer komplizierten Korsage annähernd aufrecht durchs Leben bewegen konnte. Ihre schütteren, farblosen Haare kaschierte sie mit einem turbanähnlichen Gebilde, das aus selbstgefärbten Seidentüchern zusammengerollt war. Die Schütternes der Haarpracht verdankte sie einer unlängst abgeschlossenen Bestrahlungstherapie wegen eines bösartigen Zervixkarzinoms am Gebärmutterhals.

Kandidatin Nummer zwo sass im elektrischen Rollstuhl. Ihre verkrümmte Wirbelsäule liess kein Leben ausserhalb eines orthopädisch auf ihre Körperform angepassten Rollstuhls zu. Ihr Körper machte sie vereinfacht ausgedrückt zum Rollstuhl. Hinzu kam bei ihr, dass sie durch Asymmetrie und Schieflage der Kiefergeometrie den Kopf so zur Seite gekrümmt hatte, dass es bei der rechten Maulecke permanent raussaftelte. Sie rollte für den finalen Schlussgang der Miss Handicapwahl geschickt so auf die Bühne, dass Jury, Kameras und Publikum stets nur ihre linke Gesichtshälfte sahen. Selber war sie blind und war der festen Überzeugung, dass sie diejenige sein wird, die den Titel erhalten würde. Die Besteigung der Bühne durch die dritte Kandidatin, nahm sie eigentlich nur akustisch wahr.

Die dritte Anwärterin auf den Missentitel war eine einmeterachzig grosse einundzwanzigjährige Blondine mit einer kompletten, geburtsbedingten Gehörlosigkeit. Sie erfreute sich eines aufrechten Gangs, den sie in roten Stilettos mit letalen Zehnzentimeterabsätzen unterstrich.

Der Diminutiv von Korb, der gerne zur gesellschaftskonformen Grössenbezeichnung der weiblichen Dekolletage herangeholt wird, verlor beim Anblick der dritten Kandidatin seine Bedeutung. Körbchen konnte man durchaus zum Einsammeln von Erdbeeren oder Rosenblättern verwenden, wollte man die Oberweite dieser Frau beschreiben, mussten Körben herangeholt werden. Körbe von der Grösse derjenigen, wie man sie in der Pubertät beim juvenilen Paarungsaktivismus einsammelte. Unmissverständlich war klar, die Braut war nicht nur am Audiosinn herausgefordert, sondern auch irgendwie körperlich. Sie brauchte unübersehbar stahlverstärkte Körbe, um ihre Möpse einigermassen am Körper zu halten. Körbe von papua-neuguineischen Wassermelonenpflückern.

Der eine Juror begab sich nach der Wahl für ein halbes Jahr in psychiatrische Behandlung. In einem Interview gestand er, dass ihn diese Riesenbrüste von der Bühne herab lasziv angeschaut hätten und ihm andauernd zuflüsterten, er möge sie doch befreien kommen. Sie forderten ihn angeblich auf, sie (die eingepferchten Brüste) augenblicklich aus dem Lycrakostüm rauszuschneiden, so dass sie Atmen und sich entfalten könnten. Er wäre dabei beinahe verrückt geworden und selbst als er sich abwandte, hätte er aus dem Augenwinkel noch gesehen, wie sie sich hin und her bewegten. "Durch diese Bewegung schob sich der hautenge Minirock der Frau Stück für Stück nach oben, so dass man plötzlich auch noch die mit Stickereine verzierten Ansätze der Strümpfe sah," erzählte er. Das Schlimmste dabei wäre gewesen, dass, wenn ihn einer in diesem mental derangierten Zustand gefragt hätte, er nicht mehr gewusst hätte, ob er nun ein grosser Fan von Brüsten gewesen sei oder ein Fan von grossen Brüsten.

Von Mötley Crüe wollen wir gar nicht erst reden. Wer wird da hingehen? Wer kennt die noch? Gibt es noch Überlebende, die sich für dieses Experiment eine Eintrittskarte besorgen? Smokin' In The Boys Room.

Einzig an die Anderson erinnere ich mich. Nicht Laurie, Pamela. Ich erinnere mich daran, dass einer von denen die Anderson abgekriegt hatte. Wie hiess der noch mal? Ich erinnere mich auch daran, dass mich das damals ärgerte, aus Eifersucht, versteht sich. Das war damals eine bittere Pille - A Bitter Pill wie sie sangen (und mich damit zweifellos verhöhnten.)

Ich lehnte sie ab und jetzt buhlen sie um meine Gunst, ihnen das Altengeld zu sichern. Crüe waren Drogenfreaks, dass die ihr Leben bis heute überlebt haben, verstehe wer will. Wahrscheinlich war das nur Legende und in Tat und Wahrheit gingen die jahraus jahrein täglich einer geregelten Arbeit bei der Steuerbehörde nach. Musik wurde nur in der Freizeit gemacht und jetzt wollen sie es noch einmal "so richtig" krachen lassen. Vergleichbar mit den Stones, den Scorpions und wie sie alle heissen. Es krachen lassen wie Bolle bei der Schlagerparade. Dies in Thun auf dem Fussballplatz.

Von wegen Drogenfreaks, die einzigen fragwürdigen Substanzen, die die im Gepäck haben werden, werden Poison als Supporting Act sein. Das wäre passend. Ha!
Übernachtung mit Halbpension in der Höhenklinik. Frühstück im Sauerstoffzelt mit dem Stadtpräsidenten von Kuhdorf City.

Lee heisst er (jetzt habe ich es gegoogelt). Spielt offenbar Schlagzeug bei Mötley Crüe. Ich weiss nicht, ob ich da hingehen soll und ihm ordentlich meine Meinung geigen. Ach was solls, ich lass es bleiben, am Schluss erwacht die ganze Nebenbuhlerarmee aus der Versenkung, zerrt mich auf die Liebhaberbühne und nagt an meinem Nervenkostüm. Bis erneut die Ärzte kommen.

Was will der überhaupt hier? Ich habe meinen Pamela Anderson Starschnitt längst abgehängt und meinen Frieden mit ihr gemacht. Die Sehnsucht nach ihrem skandinavischen Liebreiz und der Wunsch, auch nur jemals einen Bruchteil ihrer Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, sind Schnee von gestern. Dahin geschmolzen in unzähligen Sitzungen auf der Flatierbenne meines imaginären Marabufreundes. Irgendeinmal habe ich gelernt, die stetig wachsende Armee der Nebenbuhler in die Wüste zu wünschen. Die meisten sind ja letztlich auch da gelandet oder - oh Gunst der Zeit - bereits schon früh über die Wupper gegangen.


D J B r u t a l o @ S ç h n u l l i b l u b b e r.ç h

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